Kündigung per Einwurfeinschreiben

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Reutlingen (Urteil vom 19.03.2019, Az.: 7 Ca 89/18) begründet die Vorlage des Einlieferungs- und des Auslieferungsbeleges eines Einwurf­Einschreibens durch den Arbeitgeber in einem Kündigungsschutzprozess keinen Beweis für den Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer.

 

Der Arbeitgeber ist in einem Kündigungsschutzprozess für den Zugang der Kündigung darlegungs- und beweisbelastet. Erolgt der Zugang einer Kündigung durch die Übermittlungsform des sog. Einwurf-Einschreibens durch die Deutsche Post AG, legt der Arbeitgeber dem Arbeitsgericht zum Nachweis des ggf. streitigen Zugangs der Kündigung beim Arbeitnehmer den Einlieferungs- und den Auslieferungsbeleg vor, den er von der Deutschen Post AG erhalten hat. In dem Auslieferungsbeleg hat der mit dem Einwurf beauftragte Mitarbeiter der Deutschen Post AG die Datums- und Uhrzeitangabe des Einwurfs dokumentiert.

Das Arbeitsgericht Reutlingen vertritt in einer jüngeren Entscheidung die Auffassung, dass der Arbeitgeber mit der Vorlage des Einlieferungs- und des Auslieferungsbeleges keinen vollen Beweis über den Zugang des Einwurf-Einschreibens beim Arbeitnehmer nach§ 418 ZPO erbringen kann, weil die Deutsche Post AG als AG geführt wird und ihre Mitarbeiter keine öffentlichen Urkunden i. S. v. § 418 ZPO (mehr) erstellen können. Auch begründe - so das Gericht weiter - die Vorlage des Einlieferungs- und des Auslieferungsbeleges eines Einwurf-Einschreibens keinen „Anscheinsbeweis" für den Zugang der Sendung beim Arbeitnehmer. Liegt einer Tatsache ein typischer Geschehensablauf zugrunde, gilt die Tatsache auf der Grundlage eines Anscheinsbeweises zugunsten der beweisbelasteten Partei als bewiesen, solange die andere Partei nicht die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs beweist. Ein typischer Geschehensablauf liegt vor, wenn nach der Lebenserfahrung von einem bestimmten Ereignis auf eine bestimmte Folge geschlossen werden kann. Der Zugang einer Sendung zu dem in einem Auslieferungsbeleg dokumentierten Zeitpunkt ist nach Ansicht des Arbeitsgerichts Reutlingen kein derart typischer Geschehensablauf, dass er einen Anscheinsbeweis begründen könnte. Nach Auffassung des Gerichts geht nämlich bei vielen Postzustellungen etwas schief und auch bei dokumentierten Abläufen besteht häufig Streit darüber, ob diese tatsächlich wie dokumentiert ausgeführt wurden. Die Annahme eines Anscheinsbeweises würde einer angemessenen Verteilung des mit der Auswahl einer Zustellungsart verbundenen Risikos widersprechen. Der Empfänger einer Sendung (hier der Arbeitnehmer) kann den Nachweis, dass er ein Schreiben nicht erhalten hat, in der Regel nicht führen, weil es sich hierbei um eine negative Tatsache handelt. Der Streit über den Zugang eines Schriftstückes und den Zeitpunkt des Zugangs kann jedoch durch den Absender (hier den Arbeitgeber) vermieden werden, indem er eine Möglichkeit der Übersendung wählt, die einen anderen, sicheren Zugangsbeweis ermöglicht (wie z. B. die persönliche Übergabe unter Zeugen). Es gibt aus Sicht des Arbeitsgerichts keine nachvollziehbaren Gründe, das Risiko des Zugangsnachweises einer Sendung mit der Annahme eines Anscheinsbeweises im Ergebnis auf den Sendungsempfänger zu übertragen, zumal dieser keinen Einfluss auf die Wahl der Zustellungsart hat. Ob sich der Beweis des Zugangs aus einem Auslieferungsbeleg ergeben kann, wenn nachgewiesen ist, dass das ordnungsgemäße Zustellungsverfahren durch die Deutsche Post AG eingehalten worden ist, oder ob sich überhaupt keine beweisrechtlichen Erleichterungen für den Zugang einer Sendung durch ein Einwurf-Einschreiben und die im Rahmen der Auslieferung erstellten Dokumente ergeben, lässt das Arbeitsgericht offen.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen ist beim Landesarbeitsgericht Baden­Württemberg Berufung eingelegt worden. Ob die Argumentation des Arbeitsgerichts einer rechtlichen Überprüfung Stand hält, bleibt abzuwarten. Eine höchstrichterliche Entscheidung zum Beweiswert des Einlieferungs- und des Auslieferungsbeleges in einem Kündigungsschutzverfahren gibt es derzeit noch nicht.

Empfehlung:

Bis zu einer entgültigen Klärung sollte das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen zum Anlass genommen werden, auf die Übermittlungsform des Einwurf-Einschreibens fortan möglichst generell bei empfangsbedürftigen Erklärungen zu verzichten. Empfangsbedürftige Erklärungen wie z.B. Kündigungsschreiben sollten dem zu kündigenden Arbeitnehmer vielmehr in Gegenwart eines Zeugen am Arbeitsplatz oder mittels Boten am Wohnort persönlich zu übergeben.

Bei der Übermittlung per Boten empfiehlt es sich zudem, dem boten Kenntnis über den zu übermittelnden Inhalt zu verschaffen, damit im Extremfall auch nachgewiesen werden kann, dass tatsächlich eine Kündigung überbracht wurde.

Bei Einschreiben mit Rückschein ist, insbesondere bei Fristsachen zu berücksichtigen, dass ein Zugang erst bei Übergabe des Einschreibens erfolgt. Sollte der Empfänger am Tage der Zustellung nicht angetroffen und lediglich über den Zustellversuch eines Einschreibens/Rückscheins in Kenntnis gesetzt worden sein, vollzieht sich ein Zugang der Erklärung erst mit Abholung des Einschreibens/Rückschein bei der Postlagerstelle.

Sofern keine Abholung erfolgt, ist auch kein Zugang erfolgt. Dies ist insbesondere bei fristgebundenen Erklärungen problematisch und risikoreich.

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